Medellín

 

Die kolumbianische Stadt Medellín war in den 80er und 90er Jahren das Reich des Drogenbosses Pablo Escobar, mit der höchsten Mordrate der Welt. Selbst nach dem Tod von Pablo Escobars 1993 gehörte die Stadt bis ins neue Jahrtausend zu den gefährlichsten Orten überhaupt.

 

Viel soll sich verändert haben, die Stadt hat einen Wandel mit Musik, Tanz und Kunst herbeigeführt. Das wollten Rico und ich uns doch selber anschauen; wir sind der Meinung, dass Medellín und seine Geschichte ein wichtiger Bestandteil Kolumbiens sind. Kolumbien, ein Land, in dem mehr als ein halbes Jahrhundert lang ein blutiger Bürgerkrieg mit fast 260.000 Toten herrschte. Unzählige Jungen und Mädchen wurden als Kindersoldaten, als Drogenüberbringer und Waffenschmuggler missbraucht. Der Guerilla-Krieg zwischen der linksgerichteten FARC und der kolumbianischen Regierung wurde 2016 mit einem Friedensabkommen beendet; heute flammt er wieder auf. Wir erleben tägliche Warnungen und Meldungen von Explosionen auf Polizeigebäude und Regierungsgebäude. Rico und ich mussten einige geplante Nationalparks umfahren, da diese Gebiete für Touristen auf dem Landweg gesperrt wurden. Touristen sind ganz offiziell kein Ziel der FARC und wir fühlten uns bisher an allen Plätzen, die wir besucht haben, sehr sicher.

 

Wir entscheiden uns für einen Guide, der uns empfohlen wurde. Diego, mit Eltern aus Kolumbien / Medellín, wächst in Miami in ärmlichen Verhältnissen auf; er kommt bei der Suche nach Möglichkeiten Geld ohne vernünftigen Schulabschluss zu verdienen, schnell in Kontakt mit Drogen; er wird zum Drogenkurier im Drogenkartell von Pablo Escobar, lernt ihn später sogar persönlich kennen. Wie viele Drogenkuriere wird er verhaftet und landet in amerikanischen Gefängnissen, knapp 20 Jahren seines Lebens verbringt er hinter Gittern. Er entscheidet sich für einen Neustart ohne Drogen, weit weg von Miami, er geht zurück in seine „Heimat“, nach Medellín und wird Guide, versucht gerade ein kleines Unternehmen für Touristen aufzubauen.

 

Mit Diego verbringen wir einen Tag in Medellín. Wir besuchen die Gedenkstätte der Toten, die in den 80er und 90er Jahren durch Auftragskiller von Pablo Escobar ermordet wurden. 1989 explodierte fast täglich eine Bombe in Medellín. Wie müssen sich die Einwohner hier gefühlt haben? Diego berichtet, dass viele, die finanziell die Möglichkeit hatten, Medellín, sogar Kolumbien verlassen haben. Die arme Bevölkerung lebte damit umzugehen, möglicherweise am falschen Ort am falschen Zeitpunkt zu sein.

Wir besuchen den Friedhof Medellíns, das Grab von Pablo Escobar, auch den Ort, an dem er angeblich erschossen wurde. Oder war es doch Selbstmord? Um den Tod von Pablo Escobar drehen sich viele Gerüchte und Mythen. Die meisten Bewohner Medellíns möchten nicht an die düstere Vergangenheit der Stadt erinnert werden. Doch die erfolgreiche Netflix-Serien „Narcos“ befeuert das Klischee, Medellín sei immer noch ein gefährliches Pflaster. Ist es wirklich nur ein Klischee?, stellen wir uns die Frage.

In den Armenvierteln wird Pablo Escobar allerdings auch heute noch als „Robin Hood“ gefeiert, denn er brauchte seine Milliarden von Dollar nicht nur für sich selber, sondern schüttete es grosszügig an Bedürftige aus, baute Schulen und Wohnungen, kämpfte ihrer Meinung nach gegen das korrupte Regierungssystem. Diego vermittelt uns viel Wissen, offene Fragen hinter vorgehaltener Hand. Es macht Spass mit ihm unterwegs zu sein.

 

Wir besuchen die Comuna 13. Die Comuna 13, das Quartier San Javier ist eine von 16 Stadtteilen Medellíns; durch ihre Lage war die Comuna 13 seit jeher wichtiger Dreh- und Angelpunkt für Drogen- und Waffenschmuggel. Durch den Zugang zu der Hauptroute, die zu den Häfen des Pazifiks führen, ist die Comuna 13 für Drogenkartelle Gold wert; es herrschte ein ständiger Kampf um die Vorherrschaft des Viertels. Dies ging Hand in Hand mit Morden, Entführungen, Gewalt und Korruption. Die hohe Arbeitslosigkeit in diesem Armenviertel machte es den Kartellen leicht, junge Menschen für ihr dreckiges Geschäft anzuwerben. Die Comuna 13 rutsche sozial immer weiter ab, an ein normales Leben war selbst nach dem Tod von Pablo Escobar nicht zu denken, da andere Drogenkartelle und die FARC das Viertel „übernehmen“ wollten. Das Viertel war gefürchtet, selbst Taxisfahrer lehnten Fahrten nach San Javier ab. Wir erfahren, dass es an der Tagesordnung für Kinder war, auf ihrem Schulweg über Leichen zu steigen; die Comuna 13 war ein Kriegsgebiet, in das sich schon bald nicht einmal mehr die Polizei traute. 2002 wurde dann die wohl brutalste Militäroperation in der Comuna 13 durchgeführt. Ziel war es, das Armenviertel von der Guerilla zu „reinigen“. Die Guerilla zogen sich bereits nach Tagen in die Berge zurück, übrig blieben mehrere Tote, unzählige Verwundete und 300 Verschwundene, die bis heute vermisst werden. Die Leichen und die Verschwundenen werden auf einer Bauschuttdeponie oberhalb der Comuna 13 vermutet. Die Bewohner und Angehörigen kämpfen seit Jahren für ihre Aufklärung – leider ist nichts in Sicht.

 

Heute ist die Comuna 13 ein lebendiges und farbenfrohes Viertel geworden, das von Touristen aus aller Welt aufgesucht wird. 2011 wird die Comuna 13 mit mehreren Rolltreppen und einer Seilbahn mit dem Stadtzentrum Medellíns verbunden; so können die Bewohner am Leben der Stadt teilnehmen. Verschiedenste Förderungsprogramme tragen zur Resozialisierung des Stadtteils bei. Es gibt nun Sportplätze in den Vierteln. Hipp-Hopp und Streetartkultur wird gefördert, und viele Jugendliche tanzen sich auf der Strasse das Herz aus der Seele, zeigen in ihren Graffitis ihre Gedanken, ihre Ängste der Vergangenheit, ihre Wünsche für die Zukunft. Düstere Bilder gehen über in farbenfrohe, lachende und bunte Bilder, in eine sonnige Zukunft. Die Comuna 13 hat den Wandel von der Drogenhochburg zu einem angesagten Viertel geschafft, Zivilisten können ohne Angst normal leben, Kinder und Jugendliche haben eine Zukunft.

Aber hat es Medellín geschafft? Das Vorzeige-Viertel möchte den Touristen dies gerne so vermitteln, doch Rico und ich sind noch einen zweiten Tag in Medellín unterwegs.

 

Unser Hotel liegt wie empfohlen in dem sicheren und reichen Viertel El Poblado. Wir geniessen einen tollen Abend mit gemütlichem kolumbianischem Essen und verarbeiten bis spät abends den Tag. Wir schlendern vor dem Essen noch durch ein Einkaufszentrum und stellen fest, dass hier Schweizer Preise vorherrschen! Und das Einkaufszentrum ist gut besucht!

 

Am nächsten Tag wollen wir den anderen, für Touristen empfohlenen Stadtteil besuchen, den Plaza Botero mit den Statuen und dem Museum, in dem weitere Stücke des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero ausgestellt sind. Es wird uns empfohlen mit einem Uber-Taxi in diesen Stadtteil zu fahren; wir fragen uns, warum wir nicht mit dem Bus fahren können, obwohl Medellín ja so sicher sein soll. Wir bestellen also Uber und ein junger Mann fährt Richtung Plaza Botero, durch eine Strassensperrung muss er einen Umweg einschlagen, der uns in ein Viertel nahe des Plaza Botero führt, der für Touristen nicht unbedingt empfohlen wird. Was wir hier sehen, verschlägt insbesondere mir fast die Sprache, und es macht mich unendlich traurig. Diese Armut, die einem hier entgegenkommt, junge Menschen, die im Müll nach Esswaren suchen; junge Menschen, die mit einer Überdosis auf der Strasse liegen, regungslos, oder ihren Alkoholrausch ausschlafen. Menschen, die vor dem täglichen Regen mit durchnässter Kleidung Unterschlupf in dunklen und dreckigen Tunneln suchen. Wir verlassen in einer Seitenstrasse zum Plaza Botero das Taxi, es kommt uns ein Gestank von Urin und Verfaultem entgegen. Sofort kommen Bettler auf uns zu, Prostituierte stehen sogar vor Kirchen. Ich bin ziemlich überfordert mit der Situation. Rico schaut, dass wir schnell zum Plaza Botero gelangen, doch nach Sightseeing ist mir nicht mehr. Viele Fragen tun sich bei uns auf – Medellín, die Stadt, die einen Wandel vollbracht haben soll! Im Viertel El Poblado fühlten wir uns wie in einem europäischen Einkaufszentrum, und keine 20 Minuten entfernt liegen Menschen auf der Strasse. Das kann doch nicht sein! Das wollen die Medien nicht beschreiben!

Diese grossen Gegensätze in dieser Stadt beschäftigen uns noch eine Zeitlang. Mit Einheimischen diskutieren wir darüber, und wir kommen schlussendlich zu der Meinung, dass Medellín noch weit weg von einer Transformation ist, wie es berichtet wird. Die Comuna 13 hat es geschafft, doch es gibt noch weitere 15 Stadtteile.

 

Medellín ist sicher für Touristen, sofern man sich mit gesundem Menschenverstand an gewisse Regeln hält. Hier verweisen wir gerne auf den aktuellen Bericht von SRF.

Medellín und auch Kolumbien wird es allerdings schwer haben, jemals aus dem Drogenteufelskreis heraus zu kommen. Zum einen hat Kolumbien mehr als 50% unbewohnten Urwald, indem ohne Probleme Drogen hergestellt werden können. Zum anderen gibt es sehr viele Profiteure, die ein Durchbrechen des Drogenkreislaufes verunmöglichen. Doch was ist die Droge Kokain überhaupt?

 

Koka, Kokain, Coca-Cola

 

Mitte des 19. Jahrhunderts fand ein deutscher Chemiker heraus, dass sich mit der Kokapflanze eine Droge herstellen lässt, er nannte sie Kokain. Diese wurde vorerst vor allem in der Medizin verwendet, u.a. als Betäubungsmittel. Gegen 1885 setzte ein Getränkehersteller Kokain einer kohlensäurehaltigen Limonade zu, nannte sie Coca-Cola und verkaufte sie in dieser Rezeptur bis 1906 als Allheilmittel.

 

Die Blätter wurden in den Andenregionen, woher die Pflanze ursprünglich herkommt, seit Jahrtausenden verwendet. Sie enthalten wertvolle und gesunde Mineralien und Spurenelemente. Für die indigenen Völker sind sie Medizin, Kultur und Tradition.

 

Weshalb wird nun deren Anbau von Ländern wie den USA bekämpft? Ganze Felder werden offenbar zerstört, verbrannt. So jedenfalls die offizielle Version. Man will also den Drogenhandel bekämpfen und fängt beim Anbau an. Der Patron Pablo Escobar und sein Medellín Kartell haben in den 80er Jahren Milliarden verdient mit dem Vertrieb von Kokain an Länder wie Russland, China, USA, Italien. Das Medellín Kartell gibt es nicht mehr. Heute, sagt man, befindet sich das weltgrösste Kartell in Mexiko. Die Abnehmer sind dieselben, und solange diese ein Interesse haben, wird auch Kokain weiter produziert. Viele verdienen beim Handel mit, auch korrupte Politiker und Behörden. Wie gross ist also das Interesse den Anbau der Kokapflanze wirklich zu bekämpfen?

 

Und was ist mit Coca-Cola? Reines Kokain ist nicht mehr drin. Doch der Weltkonzern benötigt jedes Jahr 500 Tonnen legale Kokablätter, damit die Welt weiter Coca-Cola trinken kann. Den Blättern wird das Rauschgift entnommen. Die entkokainisierten Blätter werden für das beliebte Getränk verwendet. Doch was passiert mit dem entnommenen Stoff, dem Abfallprodukt? Es handelt sich immerhin um reines Kokain im Wert von rund zwei Milliarden Dollar.  Doch wer möchte auf Coca-Cola verzichten?


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